Die Einschränkungen in der Corona Pandemie sind belastend. Ganz besonders leiden Studierende, deren aktuelle Lebensphase sich wohl am meisten an den Beschränkungen stört. Oft erheben die Studierenden den intellektuellen Zeigefinger und richten ihn auf die, die ihre Maske unter der Nase tragen. Oder auf diejenigen, die es wagen, die Maßnahmen öffentlich zu kritisieren oder gar ganz boykottieren. Solidarität heißt das Stichwort, das die Studierenden den Anderen vorwurfsvoll in den Rücken bohren.
Dummerweise ist der Zeigefinger viel zu sehr auf die Anderen fixiert und macht es den höchst reflektierten Studierenden so unmöglich, sich an die eigene Nase zu fassen. Natürlich ist es falsch, die Maske unter der Nase zu tragen und Querdenker sind auch selten in der Lage, geradlinige Gedanken zu fassen. Aber, liebe Lisa, weißt du was? Du solltest Regelkonformität nicht mit Vernunft gleichsetzen. Natürlich ist es toll, dass sich alle in deiner elfköpfigen Wohngemeinschaft um 18 Uhr auf dem Balkon drängen, um mit einem alkoholisierten und einem weinenden Auge für die Pflegekräfte zu klatschen, während André das Ganze auch noch auf seiner Ukulele begleitet. Und aus besonders großer Solidarität mit den Erkrankten wollt ihr natürlich auch ein besonders großes Zeichen setzen, weshalb alle aus deiner Wohngemeinschaft auch noch ihre Partner zu Besuch haben. Ist ja erlaubt.
Liebe Lisa, es ist so toll, dass du dich seit über einem Jahr strikt an die Regeln hältst und stets das Fehlverhalten aller ja so rechten Querdenker anprangerst. Danke, wirklich. Aber ist dir noch nie aufgefallen, dass du vor lauter Solidarität jeden Abend mit 22 Personen und Andrés Ukulelen Begleitung auf dem Balkon deinen Aperol Spritz schlürfst, während die von euch beklatschten Pflegekräfte seit 20 Stunden arbeiten? Während jeden Tag Menschen sterben oder mit einem Luftröhrenschnitt nach zwei Wochen Koma üben, ihren Namen wieder sagen zu können? Nein, ist es nicht.
Ein Glück, dass Lisa sich darüber keine Gedanken machen muss. Sie hält sich ja an die Regeln.
M. Kutz 04.05.21